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Kissengesicht

Sachen gibt’s, die gibt’s gar nicht. Sollte man zumindest glauben. Hätte uns vor einigen Jahren jemand erzählt, dass sich Menschen irgendwann mal die Lippen bis an die Grenze zum Grotesken und auch weit darüber hinaus befüllen lassen – wir hätten das nicht geglaubt.

Heute ist das völlig normal und weil´s so einfach ist, endet das natürlich auch nicht mit den Lippen. Da werden Wangen mittels Filler angehoben, die Kinnlinie hervorgehoben, Augenringe aufgefüllt und Nasen ummodelliert. Das natürliche Gesicht genügt der gesellschaftlichen Vorstellung von Schönheit anscheinend nicht mehr.

Natürlich kann man mit wohl dosierten Eingriffen Erstaunliches anstellen. Und fast jeder hat irgendeine selbsternannte Problemzone, die bei manchen weniger, bei anderen aber sehr präsent ist.

Die Arbeitswelt tut ihr Übriges. Dank Onlinemeetings sehen wir nun auch im Arbeitsalltag ständig ins eigene Antlitz. Und nicht jedem gefällt der Anblick. Den kann man zwar auch ausschalten, aber die Gefahr, dann selbst zu vergessen, dass die Kamera an ist, wäre mir zu groß. Ich habe Dinge gesehen… darüber reden wir lieber nicht. Es ist doch besser, wenn man sich selbst auch wortwörtlich auf dem Schirm hat. Es gibt allerdings Tage, da frage ich mich schon, wer die farblose Kollegin ist, die da so völlig übermüdet, verknittert und blass in die Kamera starrt…

Wenn also jeder Blick in den Spiegel am Ego kratzt, kann ich gut verstehen, wenn man ändert, was man ändern kann.

Und genau das ist heute auch so einfach. Praxen, in denen man sich von den Lippen bis zum Hinterteil alles befüllen lassen kann, sprießen wie Pilze aus dem Boden. Offenbar sind die Einstiegshürden nicht besonders hoch, um anderen Menschen eine Nadel in die Haut bohren zu dürfen. Und das schnelle Geld ist sicher auch kein Hindernisgrund.

Dass man mal eben so einfach die Optik aufpolieren unterfüttern lassen kann, führt wohl auch dazu, dass solche Eingriffe zu einer Selbstverständlichkeit geworden sind. Potenzielle Risiken werden gerne ignoriert, wenn doch das Wunschziel nur einen Piks entfernt ist. Und wenn man erst mal hier ein bisschen aufgehübscht wurde, könnte man da ja auch noch ein bisschen… und schon ist man mitten drin in der endlosen Selbstoptimierungsspirale.

Klar, erlaubt ist, was gefällt – und das muss dann auch nicht allen gefallen. Die eigene Wahrnehmung kann aber auch trügerisch sein. Das ist sogar belegt und beispielsweise auch bei Essstörungen ein unschönes Phänomen. Während Außenstehende der betreffenden Person bestätigen, dass sie bereits sehr dünn ist, nimmt diese sich immer noch als dick wahr. Und leider ist es mit den eigenen Makeln nicht viel besser – die leuchten uns geradezu an in ihrem imaginären Scheinwerferlicht.

Dass man aber überhaupt nicht merkt, wenn das eigene Gesicht immer mehr Ähnlichkeit mit einer Wasserbombe bekommt, ist für mich trotzdem schwer zu glauben. Vor lauter Fillern ist die Haut prall gestrafft. Klar, sämtliche Falten sind so auch verschwunden. Die haben sich zusammen mit einer natürlichen Mimik verabschiedet. Weil so viele „was haben machen lassen“, hat man sich bereits an diese verzerrten und glattgezurrten Gesichter gewöhnt.

Für die, die es übertreiben, gibt es bildhafte Bezeichnungen, bzw. für das Ergebnis: Pillow Face oder Facial Overfilled Syndrome. Wer das in der Suchleiste eingibt, dem offenbart sich ein buntes Gruselkabinett an aufgepumpten Gesichtern. Mich erinnert das immer an die Karikatur-Zeichner in den Fußgängerzonen, die einen mit ein paar Strichen in eine überzeichnete Version verwandeln. Das ist auf jeden Fall günstiger und nebenwirkungsfrei – von ein paar Lachfalten bei besonders treffenden Portraits mal abgesehen. Und die Haltbarkeit der Zeichnung übersteigt die der Filler um ein Vielfaches. Laut Kleingedrucktem lässt die Wirkung nämlich innerhalb einiger Monate bis zwei Jahren wieder nach und dass sich die Mittelchen wirklich auflösen bzw. vom Körper abgebaut werden, ist wohl auch strittig. Also werden nicht nur immer mehr Stellen unterfüttert, das ganze muss auch regelmäßig nachgefüllt werden.

Wie viel Geld wohl da im Laufe der Jahre zusammenkommt? Und wie viel Geld haben die Damen und Herren ausgegeben, um SO auszusehen? Und finden die sich wirklich schön, wenn sie in den Spiegel schauen? Und wie sieht das Gesicht aus, wenn man aufhört, die gedehnte Haut regelmäßig nachzufüllen? Und kann man mit diesen extremen Schlauchbootlippen noch in der Öffentlichkeit essen und trinken? Ich habe ja so viele Fragen.

Selbst diejenigen, die den rechtzeitigen Absprung aus dem Optimierungswahn schaffen, sehen mit ihren glattgespritzten Gesichtern alle irgendwie gleich langweilig aus. Oder künstlich. Oder beides.

Statt einem verjüngten Erscheinungsbild finde ich mich dann doch lieber mit dem (noch leicht) verknitterten Gesicht ab. Die Vorstellung, dass die Haut bis zum Bersten mit Füllstoffen unterfüttert ist, finde ich unheimlich – wie auch das Ergebnis selbst. Jünger sehen diese Menschen damit nicht aus, nur anders.

Und ausnahmsweise kann ich sogar mitreden. Ich habe mir vor Jahren mal die Tränensäcke (was für ein scheußliches Wort) mit Hyaluron abmildern lassen. Dafür wird die Partie darunter mit Hyaluron aufgespritzt. Die Partie ist nicht ganz unproblematisch und man sollte da wirklich nur einen absoluten Profi dran lassen. Ein Risiko gibt es trotzdem immer, das darf man nicht außer Acht lassen. Ja, ich sah wirklich wacher und glatter aus. Aber dafür war ich dann auch stolze 400 Euro ärmer. Das ist es mir nicht wert.

Man könnte ja so viel machen lassen, wenn Geld und Gesundheit keine Rolle spielen würden. Dabei muss man dann auch nicht wie ein Luftballon kurz vor dem Platzen aussehen – mit der richtigen Dosis können talentierte Beautyprofis definitiv kleine Wunder bewirken. Es liegt wie oft ein schmaler Grad zwischen optimal und zu viel. Wer sein Geld mit seinem Aussehen verdient, kommt wahrscheinlich nicht drum herum, zumindest darüber nachzudenken. Ich für meinen Teil bin froh, dass das außer mir keinen juckt und übe mich angesichts der Fremden, die mir manchmal morgens aus dem Spiegel entgegenschaut, in Akzeptanz.

4 thoughts on “Kissengesicht

  1. Ach du lieber HImmel, da falle ich ja fast vom Stuhl. Wie blöd ist sowas? Von so einer Art Lippenstift, womit man sich die Lippen aufplustern kann, habe ich ja schon gehört, aber sich gleich das ganze Gesicht aufplustern ist ja Unsinn auf die Spitze getrieben. Vermutlich machen das leider vorrangig Frauen. Und verkleinern sich so freiwillig auf ihre Äußerlichkeiten. Für was und für wen eigentlich? Und warum? Ich begreife es nicht.

  2. Die Kurve beim Aufhören zu bekommen, ist neben dem Anfang wohl das größte Thema dabei.

    Vor Jahren hätte ich mich für Blogbeiträge in Kooperation regelmäßig mit Hyaluronsäure spritzen lassen können und hätte alles bezahlt bekommen. Ich bin mir sicher, dass ich damit smarter ausgesehen hätte. Der Hauptgrund, warum ich es nicht gemacht habe, war, dass ich mich nicht an den frischeren Anblick hätte gewöhnen wollen, denn mir war klar, dass die Quelle irgendwann versiegen würde. Über die Entscheidung bin ich sehr froh. Außerdem habe ich dem Rahmen bereits derartige optische Entgleisungen gesehen und jemanden, der kaum noch reden kann vor lauter dicken Lippen, dass die Angst, die Grenze selbst nicht zu sehen, dabei auch im Raum stand.

    Hab einen schönen (!) Abend.

  3. Oh jeh ja, ich lasse da lieber die Finger weg. Mir gefällt es besser, wenn man dem Gesicht Emotionen ansehen kann, und diese Schlauchbootlippen sind furchtbar für mich. Einzig die Partie zwischen meinen Augenbrauen bekommt von mir mal eine Massage, ich sehe immer so verzweifelt aus, weil ich da anspanne. Da wäre etwas Botox vielleicht gut, aber nein. Ich bin einfach so. ☺️
    Ich wünsche Dir einen entspannten Abend, ganz liebe Grüße Tina

  4. eine meiner deutschen lieblingsschauspielerinnen – so alt wie ich – sieht im gesicht immernoch wie vor 20 jahren aus….. gut gemacht – nur haben sie leider den hals vergessen. bizarrer anblick. und für mich als fan irgendwie traurig – denn sie ist gut in ihrem job und ich denke, sie hätte lässig und in würde altern können…..
    am erschütterndsten finde ich die gerade der pupertät entwachsenen jungen frauen, von natur aus echt hübsch, geradezu schönheiten – aber es MUSS dieser superkünstliche look sein, den die unterspritzungen machen. und eine sieht aus wie die andere. (gibt krasse dokus dazu im öff.rechtl. mediathek-TV)
    denke, da läuft was falsch im kopf und in der seele. und es gibt eben genug geldgieriges gesindel, das sofort *hier* brüllt, wenn eine frau – und mittlerweile auch männer – ein äusserliches „defizit“ an sich ausmacht.
    und wo verläuft die grenze? ich lese immerwieder (und sehe es in fremden badezimmern) von angeblichen wundercremes, zauberseren, turbopeelings….. bis hin zu dem unsinn, sich mit superverdünnten spülmittel aka mizellenwasser das gesicht zu putzen! ein liter tensid aka spülmittel kann man unter einem € haben (als endverbraucher!) – in 200ml mizellenwasser für sagen wir mal 3€ sind mikrogramm davon anthalten – kein schlechter schnitt für die hersteller 😀 abgesehen davon – geschirrspüler im gesicht? macht auf jeden fall sauber :-DDDDD
    jedenfalls stimmt der spruch mit der wahren schönheit die von innen kommt – wenn´s drin duster aussieht, findet man sich auch äusserlich finster – aber hyaluron und botox helfen da nicht.
    xxx

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