Mindset

Zielsicher die richtige Warteschlange finden

Wann sind wir eigentlich alle so ungeduldig geworden. Kaum müssen wir einmal 5 Sekunden irgendwo warten, zückt die Hand schon völlig automatisch das Handy aus der Tasche. Keinen Augenblick schaffen wir es, mit unseren Gedanken alleine zu sein.

Ganz schlimm zeigt sich unsere Ungeduld gerne an der Supermarktkasse oder wo auch immer man halt anstehen muss. Auch ich selbst gehöre zu den Menschen, bei denen immer alles schnell, schnell erledigt werden muss. Warten ist so gar nicht meine Welt und auf andere zu warten ist die reinste Folter. Vor allem, wenn man selbst so gar nichts tun kann, also hilflos und zur Untätigkeit verdammt  ausharren muss, bis andere mal in die Pötte kommen.

Während einem „normalen“ Arbeitstag war ich mal so wagemutig, in der Mittagspause kurz zur Post zu gehen. Eigentlich wollte ich nur eben schnell mal ein Paket abgeben – rein, raus, höchstens 5 Minuten. Das war zumindest der Plan. Doch kaum hatte ich die Filiale betreten, fühlte es sich an, als wäre ich in eine Blase geraten, in der die Zeit zäh wie Kaugummi vergeht. In der Schlange vor mir nur Rentner und Mütter mit Kindern, so wie es sich für ein Vormittags-Einkaufen-Klischee gehört. Die Minuten zogen sich in ungeahnte Längen, alles schien wie in Zeitlupe abzulaufen. Ich fühlte mich, wie ein Eichhörnchen auf Speed, dass in einen dickflüssigen Glibber geplumst ist. Von 180 auf 0 in einer Sekunde.

Bei all dem Gerenne in unserem Alltag haben wir völlig verlernt, auch nur ein paar Minuten ruhig zu warten und nichts zu tun. Langeweile ist der blanke Horror. Lieber vergeuden wir unsere kostbare Zeit stundenlang am Handy und regen uns dann auf, wenn wir nur ein paar Minuten in einer Schlange anstehen müssen.

Und auf der anderen Seite ist das Gras auch immer grüner. Während man selbst mal wieder mit erstaunlicher Treffsicherheit stets die langsamste Kassenschlange erwischt, scheint es nebenan immer etwas schneller voranzugehen.

Sieht man im Übrigen auch immer wieder gerne im Stau auf der vollen Autobahn. Oder kommt der Stau womöglich überhaupt erst daher, dass manch ein Zeitgenosse im Kampf um Sekunden wild zwischen den Spuren wechselt und damit andere erst zu unnötigem Bremsen zwingt?!

Letztendlich ist es (fast immer) nur eine Frage der Wahrnehmung. Das eigene Päckchen ist immer das schwerste. In Wirklichkeit geht es überall mal mehr, mal weniger schnell voran. Aufmerksame Beobachtet stellen fest, dass sie im Stau regelmäßig denselben rostigen Kleintransporter überholen – und eben wieder von ihm überholt werden. Auch das an der Kasse nebenan schon wieder kein Preis an der Ware ist und alle warten, bis Herr Meier-Müller durch den ganzen Laden bis zur Gemüseabteilung und wieder zurück gerannt ist, um herauszufinden, was eine Gurke kostet – bekommt fast keiner von uns mit. Wir sind viel zu sehr mit uns selbst beschäftigt und sehen nur unsere kleine Welt und was darin alles schief läuft.

Dabei könnten wir uns auch einfach mal entspannen. Wir können eh nichts an der Situation ändern, aber dafür unseren Blickwinkel darauf. Statt als Opfer unsere eigenen Rast- und Ruhelosigkeit in Selbstmitleid zu verfallen, können wir einfach mal einen Gang runterschalten. Wie selten hat man zwischendurch die Gelegenheit, mal kurz durchzuschnaufen.

Wir können einfach mal den eigenen Gedanken nachhängen – oder unsere Mitmenschen stalken. Gerade dann, wenn der Vordermann alle Artikel aus dem Einkaufskorb aufs Kassenband legt, wird es richtig spannend. Da kommt die ungeschönte Wahrheit ans Licht – nur Fertigpizza? Oder literweise Putzmittel, eine Packung Gummihandschuhe und Mülltüten in rauen Mengen? Welche (Mords-)Story da wohl dahintersteckt?  

Selten gibt es bessere Gelegenheiten, die menschlichen Kuriositäten in freier Wildbahn zu beobachten.  Da gibt es die gestressten Hektiker, die gereizte Blicke in Richtung Kasse werfen. Dann wieder sind da die in sich gekehrten, die sich resigniert in ihr Schicksal fügen. Oder die Hilfsbereiten, die gerne auch mal jemanden mit einem einzelnen Artikel den Vortritt lassen, sehr zum Ärger eines nervösen Dränglers, welcher wiederum seinem Unmut mit gezielten Angriffen seines Einkaufswagens gegen die Fersen des Vordermanns Luft macht.

Doch wie kommt man überhaupt in den Genuss der fremdbestimmten Entschleunigung? Wer seinen Geduldsfaden trainieren möchte, steuert Läden vorzugsweise zu Stoßzeiten an. Sehr zu empfehlen sind auch Brückentage, da haben viele Menschen frei und nutzen die Zeit gerne zum zwanglosen Konsumrausch. Ganz Mutige steuern den schwedischen Möbelriesen an, das ist aber nur etwas für Fortgeschrittene. Ebenso sind die frühen Termine auf Ämtern, bevor alle zur Arbeit müssen, sehr effektiv, wenn es darum geht, sich in stoischer Gelassenheit zu üben.

Gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
  den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
  und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Reinhold Niebuhr

Im Grunde haben wir es also selbst in der Hand. Zwar haben wir auf die äußeren Bedingungen nur wenig Einfluss, können aber meist selbst entscheiden, ob wir uns unbedingt ins größte Getümmel stürzen müssen. Und wenn wir dann tatsächlich mittendrin stehen und mal wieder ganz am Ende der längsten und langsamsten Schlange stehen, bleibt es unsere Entscheidung, wie wir damit umgehen.

Eines sollten wir uns jedoch keinesfalls von manchen Warteschlangencharakteren abschauen. Selbst wenn wir noch so in Eile sind und damit selbst den fortgeschrittenen Profi-Hektiker in den Schatten stellen, sollten wir weder unsere Mitwartenden noch die Angestellten als Zielscheibe für unseren selbstgemachten Frust nutzen. Stattdessen können wir uns einfach mal zusammenreisen, wir sind schließlich keine Dreijährigen, die vor dem Regal mit der Quengelware einen Tobsuchtsanfall hinlegen. Wobei das für alle Mitwartenden bestimmt ein phänomenal unterhaltsames Schauspiel wäre. Weniger zum Fremdschämen und dafür aber wesentlich entspannter ist es, einfach mal tief durchzuatmen und zu lächeln.

Dem Menschen an der Kasse oder am Schalter zu grüßen, ist nebenbei auch kein Zeichen von Schwäche, auch wenn manch einer das zu denken scheint. Im Gegenteil, vielleicht kann man am Rande sogar ein paar nette Worte mit den Menschen wechseln, die hier einfach nur ihren Job machen. Nur nicht gleich die ganze Lebensgeschichte erzählen, hinter uns warten auch noch welche…

Denn auch wenn die eigene Zeit so unglaublich kostbar und knapp erscheint (wie viel mehr hätten wir, wenn wir sie nicht dauernd online verdaddeln würden) – die Zeit der anderen ist uns völlig egal. Sobald wir im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, haben wir unser Ziel erreicht. Warum in den langen Minuten des Wartens überlegen, welchen Kuchen man möchte? Das kann man doch machen, wenn man die Beachtung des gesamten Publikums sicher hat.

Geduld ist eine seltene Gabe geworden. Im Bewerbungsgespräch nach eigenen Schwächen gefragt, schmücken wir uns sogar mit Ungeduld, das klingt so schön nach Tatendrang. Doch wer nur rastlos durchs Leben hetzt, dem entgehen die kleinen Details und schönen Momente. Ein glücklicheres Leben führt man definitiv mit ein bisschen mehr Gelassenheit. Viel Spaß (und Ausdauer) beim nächsten Einkauf!

4 thoughts on “Zielsicher die richtige Warteschlange finden

  1. Liebe Vanessa,
    vielen Dank für deine Sichtweise und die Inspiration, mehr Geduld und Gelassenheit im Alltag aufzubringen. Auch ich hetze oftmals durch den Tag, um möglichst viel zu schaffen. Aber auf manche Dinge haben wir nicht immer Einfluss. Dann ist es eine gute Idee, die Einstellung dazu zu ändern und das beste daraus zu machen. Danke für den Reminder.

    Liebe Grüße
    Kathrin

    1. Liebe Kathrin,
      danke für dein Feedback. Oft lässt man sich hinreißen und ärgert sich unnötig. Ich muss auch an mir selbst immer wieder arbeiten (vor allem im Auto, der Klassiker).
      Viele Grüße
      Vanessa

  2. Stimmt – manchmal schaff ich es mit Gelassenheit in der Schlange zu stehen, so gar noch jemanden vorzulassen und wie gestern beim Wocheneinkauf überall warten und der Fordermann ey wie lange braucht denn der noch soll nicht quatschen sondern sich beeilen…. weil ja zu Hause der Wäscheberg wartet, das Bad geputzt werden muss – vermeintlich geputzt werden muss oder gewaschen werden muss…..

    Ist aber auch normal alles schnell schnell – Bestellung und in wenigen Stunden bei einem, quängelnde Kunden, auf Arbeit soll auch alles schneller gehen – selbst die Geburten sollen schneller gehen, das Kind wird schon im KIGA auf Schnelligkeit trainiert.

    Deswegen heute nichts einfach nichts tun. Tee trinken und die Zeit dabei genießen. Also nur Tee trinken, nicht nebenher lesen, Einkaufszettel schreiben und so.
    LG
    Rosa

    1. Liebe Rosa,
      einfach mal nichts tun, das ist wirklich eine Kunst. Das können heute die wenigsten. Immer brauchen wir Ablenkung und Unterhaltung, weil wir nicht mit unseren Gedanken für uns sein können. Dabei ist das so wichtig und entspannend.
      LG
      Vanessa

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert