Mindset

Feminismus vs. Unconscious Bias

Anlässlich des Weltfrauentages am 8. März diesen Jahres gab es wieder viele Debatten und Aktionen rund um das Thema Gleichberechtigung. Das Ganze liegt nun schon wieder ein paar Wochen zurück und der Alltag hat uns wieder. Gefühlt gewinnt der Weltfrauentag jedes Jahr an Wichtigkeit. Das liegt vielleicht auch daran, dass dieser in manchen Ländern viel wichtiger ist (ähnlich wie der Muttertag bei uns) und wir immer mehr über den kulturellen Tellerrand blicken. Oder es war einfach eine willkommene Abwechslung zu den üblichen Themen in der täglichen Berichterstattung. Von Krieg, Inflation und Pandemie braucht man ja auch mal eine Pause.

Doch irgendwie ist bei mir ein Gedanke hängen geblieben. Bei uns im Unternehmen gab es einen interessanten virtuellen Vortrag zum Thema Unconscious Bias. Doch unter der Überschrift Weltfrauentag waren unter den über 60 Teilnehmenden ganze zwei Männer. Keiner meiner männlichen Kollegen hat die Einladung auf unserer firmeninternen Intranetseite überhaupt wahrgenommen, geschweige denn Interesse an einem Vortrag zu „Frauenthemen“. Dabei handelt es sich hier mitnichten um ein Frauenthema und das Desinteresse der Kollegen untermauert die Thesen zu Unconscious Bias nochmals anschaulich.

Unconscious Bias – unbewusste Voreingenommenheit

Für alle, die sich jetzt denken, was das mit diesen englischen Modebegriffen hier soll, machen wir mal einen kurzen Exkurs und klären, worum es bei Unconscious Bias überhaupt geht.

Unser Hirn ist auf Effizienz getrimmt. Das heißt, wo auch immer die grauen Zellen es sich einfach machen können, nutzen sie diese Möglichkeiten auch. Unbewusste Stereotypen, Vorurteile und erlernte Muster sind sozusagen eine mentale Abkürzung für Entscheidungsfindungen. Unconscious Bias reduzieren durch die erlernten Denkmuster die Komplexität der permanent auf uns einwirkenden Informationen und vereinfachen unseren Alltag.

Das ist erst mal kein Problem. Könnten wir nicht auf unsere vielen gut sortierten Schubladen zurückgreifen, wären wir kaum in der Lage, in einer Situation schnell und angemessen zu reagieren. Es gibt verschiedene Formen von Unconscious Bias und unser Gehirn wendet diese Vorurteile nicht nur auf Menschen an. Beispielsweise investiert so mancher Anleger lieber auf dem Heimatmarkt in bekannte Unternehmen, bekannt als „Home Bias“. Diese fatale Vorliebe für die heimischen Wertpapiere geht auf Kosten der Streuung des Depots, das Klumpenrisiko steigt.

Meist merken wir gar nicht, wenn wir mal wieder einem antrainierten Wahrnehmungsmuster aufgesessen sind. Ganz selbstverständlich nimmt unser ressourcenschonend arbeitendes Gehirn an, dass unser männliches Gegenüber der Chef sein muss und die Frau den Kaffee bringt. So haben wir es gelernt und diese ausgetretenen Pfade verlässt unser Denken nicht gerne. Dabei sollte man im ersten Moment niemanden eine böse Absicht unterstellen, auch nicht uns selbst, wenn wir uns bei einem Vorurteil ertappen. Unsere mentale Programmierung wurde ein Leben lang geprägt und ist sowohl in uns als auch unserer Kultur tief verwurzelt. Eine Umstellung muss bewusst trainiert werden. Wichtig ist, dass man sich damit auseinandersetzt und die Denkmuster ins Bewusstsein holt. Die Gesellschaft ändert sich und mit ihr auch unsere eigene Wahrnehmung.

Unconscious Bias ist übrigens völlig gleichberechtigt und trifft jeden Menschen völlig unabhängig von Form und Farbe. Daher wäre es so wichtig, dass sich jeder dieser unbewussten Denkmuster bewusst würde. Denn wenn ich weiß, dass mein Hirn lieber den bequemen Weg nimmt, der aber nicht unbedingt der bessere ist, dann kann ich aktiv gegensteuern. Schade also, dass viele Kollegen den informativen und aufschlussreichen Vortrag verpasst haben, weil dieser im Rahmen des Weltfrauentages stattfand.

Und was hat das jetzt mit Feminismus zu tun?  

Sprache formt unsere Wirklichkeit. Aber unsere Wirklichkeit formt auch unsere Sprache. Das was wir von Kindesbeinen an vorgelebt bekommen haben und alles, was wir im Laufe unseres Lebens an Erfahrungsschatz gewonnen haben, prägt unsere Ausdrucksweise.

Viele Frauen haben überhaupt keine Angst davor kräftig anzupacken oder sich dreckig zu machen. In vielen Berufen darf man sich heute daran gewöhnen, dass das Geschlecht keine Rolle mehr spielt. Wir haben aber auch unsere Schubladen im Kopf und das hört man auch immer wieder unbewusst in unserer Sprache. Da wird ganz selbstverständlich der Klempner gerufen und für ihr Zuhause sucht man üblicherweise nach einer Putzfrau. Das wird durch die liebevolle Bezeichnung als Perle auch nicht besser.

Da helfen aber auch keine Parolen nach dem Motto „Frauen sind die besseren Männer“ – im Gegenteil. Feminismus heißt aber nicht, dass Frauen bevorzugt werden sollen sondern es geht um Gleichberechtigung (hier wird zu dem Thema im Übrigen sehr schön aufgeklärt). Nur, solange wir jedes Mal nach dem Ritter in leuchtender Rüstung schreien, wenn eine Spinne im selben Raum auftaucht oder der Abfluss gereinigt werden soll, untergraben wir unsere eigenen Argumente.

Wie kann es sein, dass man laut nach Gleichberechtigung schreit, sich dann aber für bestimmte Aufgaben zu fein ist. Und das hat nichts mit den körperlichen Unterschieden zu tun, genug Frauen haben bewiesen, das Kraft, Ausdauer und Stärke keine rein männlichen Eigenschaften sind. Und genug Männer nebenbei ebenfalls, sie eben nicht alle kräftig, ausdauernd und stark sind.

Auch ich selbst habe schon erlebt, dass meine Bewerbung wegen meines Geschlechts abgelehnt wurde. Ich würde die schwere Technik nicht heben können… Dort, wo ich dann am Ende untergekommen bin, war der männliche Assistent klein und schmächtig, was jetzt nicht abwertend gemeint ist, sondern einfach den Fakten entspricht. Also war ich diejenige, die die schweren Sachen in die Regale geräumt hat. War auch ok, jeder macht halt das, was er gut kann. Dann wieder gibt es Dinge, die ich alleine nicht schaffe. Da bitte ich dann halt um Hilfe. Ist auch ok und ich finde das auch nicht schlimm. Es kommt auf die Person an, nicht auf das Geschlecht.

Doch es gibt immer noch viele Berufe, die ausschließlich oder hauptsächlich von Männern ausgeübt werden. Industrietaucher sind so ein Beispiel, die kommen auch mal in Kläranlagen zum Einsatz. Bei der Müllabfuhr oder beim Straßenbau sieht man auch nicht gerade viele Frauen. Klar, das sind echte Knochenjobs. Ich wöllte die nicht machen. Ich verkneife mir dann aber auch die Aussage, dass es keine Unterschiede gäbe und dass „wir“ Frauen doch in allem noch viel besser wären. Denn genau solche unbedachten Kampfparolen sind es, die beim Gegenüber dann die berechtigte Abwehrreaktion hervorrufen.

Das wir Frauen uns bei all der verlangten Gleichberechtigung für die Knochenjobs zu fein wären ist ein durchaus nachvollziehbares Argument. Ja, ich bin ein Weichei und sitze viel lieber im Trockenen. Aber dabei bin ich in guter m/w/d Gesellschaft. Denn auch unter den Männern gibt es nicht wenige, die lieber im wahlweise beheizten oder klimatisierten Büro sitzen. Nur –wennwirden gleichen Job machen, sollte ganz selbstverständlich auch jeder das gleiche Gehalt bekommen.

Wer etwas ändern will braucht handfeste Argumente und einen langen Atem.Ersteres gibt es genug. Letzteres liegt bei uns selbst. Den Diskussionspartner verbal in die Ecke zu stellen, bringt uns dabei aber nicht weiter. Denn niemandlässt sich gerne zum Menschen / Geschlecht zweiter Klasse degradieren. Und ein Angriff löst in der Regel immer eine Gegenreaktion aus. Zuhören und Verstehen funktioniert anders.

Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast

Klar lasse auch ich mich dazu hinreißen, Artikel mit reißerischen Überschriften wie „Frauen sind die besseren Chefs“ oder „Warum Frauen erfolgreicher investieren“ anzuklicken. Doch letztendlich sollte man so reflektiert sein, dass man sich erst mal ein eigenes Bild macht und eben auch bedenkt, dass solche Aussagen absichtlich provozieren sollen. Mit langweiligen Überschriften kann man ja keinen hinterm Ofen vor locken, das wissen die einschlägigen Zeitungen genau. Und egal, welche Ergebnisse uns diverse Studien verkaufen wollen. Am Ende hat jemand die Rechnung für die Studie bezahlt und möchte eine bestimmte These beweisen und vor allem verkaufen.

Unser wertvollstes Gut ist unsere Aufmerksamkeit. Und im Wettbewerb darum, ist sich manch einer zu nichts zu schade. Also sollte man, bevor man sich von einem „Aufreger“ provozieren lässt, mal ein anderes wertvolles Gut nutzen – unseren Verstand.

Bei all der Diskussion, wer was besser könne und wer wo benachteiligt wird und wer was besser kann, vergessen wir gerne, dass man nicht alle Menschen in Schubladen stecken kann. Das wäre nicht nur viel zu einfach, sondern auch furchtbar langweilig.

Und so staunen wir über die Barbie mit den meterlangen, künstlichen Fingernägeln, die mal eben einen Reifen wechselt ohne sich auch nur ein bisschen dreckig zu machen. Klar, dass wir in solchen Momenten über uns selbst und unser Klischeedenken staunen. Aber andererseits wird die Welt immer bunter und unsere Weltanschauung damit hoffentlich auch. Die Menschen sind nicht alle gleich, sollten aber alle gleichberechtigt sein. Und wir sollten aufpassen, in welche Schubladen wir unsere Mitmenschen stecken und da immer mal wieder großzügig umsortieren. Daran wachsen auch wir selbst.

In eigener Sache

Wer sich heutzutage auch nur ein bisschen den Medien aussetzt, kommt um das Thema Gendern nicht mehr herum. Egal, wie man selbst zu dem Thema steht, führt es doch immer wieder zu sehr kontroversen Diskussionen. Ich selbst stehe dem Ganzen als Frau, die sich auch als solche fühlt, vergleichsweise neutral gegenüber. Zum einen habe ich das Privileg, in einer Branche zu arbeiten, in der es zwar wenige Frauen gibt, es aber niemanden interessiert, was man ist und wen man liebt. Da kommt es auf den Inhalt an, die Arbeitsergebnisse und die Zusammenarbeit. Zum anderen bin ich ein brennender Befürworter des Mottos „Leben und leben lassen“. Soll doch jeder glücklich sein, solange er damit niemandem schadet. Ich hoffe, ich trete mit meiner genderunsensiblen Sprache keinem auf die Füße. Falls doch, tut es mir ganz herzlich leid.

Aber zumindest für den Moment habe ich nicht vor, das zu ändern und muss mich daher von allen Leser*innen verabschieden, die sich durch das unterlassene Gendern diskriminiert fühlen.

Wie seht ihr das mit dem Gendern? Ist es euch wichtig oder achtet ihr da gar nicht drauf?

7 thoughts on “Feminismus vs. Unconscious Bias

  1. Ein schön geschriebener Artikel. Schade, dass sich die männlichen Kollegen kaum dafür interessiert haben. Mit dem Gendern kann man es wirklich übertreiben. Ich persönlich brauche das nicht.
    Leben und leben lassen ist auch mein Motto.

    Liebe Grüße
    Sabine

    1. Liebe Sabine,
      danke für deinen Kommentar. Wahrscheinlich ist es vor allem das Ungewohnte aber wer es machen möchte, soll es gerne tun. Wie du sagst, leben und leben lassen.
      VG
      Vanessa

  2. Naja, ich sag mal so: wir sind wohl alle auf gewisse Weise „Opfer“ unserer Erziehung. So bis aufs Letzte weggebügelt bekommt man die wohl nie. Trotzdem: ab einem gewissen Alter sind wir selbst dafür verantwortlich, wie wir mit allem umgehen. Ich für meinen Teil hab ab 18 alles kompensiert, was ich vorher nicht durfte und sollte… :oD Da ich aber schon als ganz kleines Mädchen mit einem sehr harten Schädel ausgestattet war, hab ich mich schon im zarten Alter durchgesetzt. Und dass ich die Älteste von 3 Mädchen war, hat die ganze Geschichte noch befördert, *ggg*. Auf jeden Fall kann ich selber Reifen wechseln, es bricht mir aber nix ab, wenn ich bei anderer Gelegenheit jemanden um Hilfe bitten muss. Und mein Vater hat uns Dreien schon ziemlich früh beigebracht, wie man Holz und Metall bearbeitet, wie man Nägel einschlägt oder eine Bandsäge bedient. Davon profitiere ich bis heute!
    Wenns ums Thema Gleichberechtigung geht, dann kann ich manchmal ein bisschen gereizt reagieren. Vor allem jetzt, da in der Schweiz das Pensionsalter der Frauen um ein Jahr angehoben wurde (um mit den Männern gleichzuziehen…), dabei aber ganz vergessen wurde, auch die Lohnschere zu schliessen. Und dass wir Frauen schon mal grundsätzlich weniger Rente bekommen, daran hat auch keiner gedacht. Soviel zum Thema.
    Persönlich finde ich dieses Gendern völlig überflüssig und künstlich hinaufstilisiert. Und anstrengend ist es ausserdem. Ich habe noch nie erlebt, dass sich jemand beklagt hat, weil ich mich „unsensibel“ ausgedrückt habe. Ziemlich sicher ist auch das wieder ein Thema, das sich über das eigene Selbstbewusstsein abspielt. Anders kann ich mir das irgendwie nicht erklären…..
    Trotzdem: ich bin absolut der Typ, der für „leben und leben lassen“ plädiert. Das nehme ich für mich selber in Anspruch, also gestehe ich es auch andern zu.
    Liebe Grüsse!

    1. Danke liebe Hummel für deinen Kommentar. Ich finde es immer großartig, wenn bei der Erziehung nicht zwischen Mädchen- und Jungsthemen unterschieden wird, sprich die einen nicht nur Nähen und die anderen nur Sägen dürfen. Wer breit aufgestellt ist, hat es später leichter und auch ein Mann muss mal einen Knopf annähen können. Mit dem Handwerken hab ich es auch, aber das ist ein anderes Thema, dazu schreib ich später mal mehr. Dafür bin ich beim Reifenwechseln gescheitert, hab die Schrauben nicht aufbekommen.
      Die Lohnschere ist auch sowas, das mich echt auf die Palme bringt. Viele Jobs werden gar nicht nach ihrem Wert bezahlt, dabei wäre unsere Gesellschaft echt am A… wenn irgendwann keiner mehr Kinder erziehen, Menschen pflegen oder den Müll abholen will. Und für die gleiche Arbeit muss es auch das gleiche Geld geben. Ich kann doch nicht dem einen mehr geben, weil mir seine Nase besser gefällt oder derjenige das passende Geschlecht hat. Wenn wir das mal gelöst bekommen, können wir meinetwegen wieder übers Gendern reden!

  3. vielleicht ist es filterblase – aber alle jungen männer, von denen ich weis, suchen sich grad jobs in verwaltung und behörden – während die handwerksbetriebe unserer bekannten händeringend nach lehrlingen und nachfolgern suchen…… und auch mädchen nehmen würden. aber auch die sitzen lieber im büro hinterm bildschirm, am besten verbeamtet. wenn dann doch mal ein junger MENSCH auftaucht, der mit herz&hand handwerker wird, dann sind wir immer ganz gerührt…….
    ich glaub, die ganz jungen haben den ganzen männlich-weiblich teilungskram schon überwunden – aus ganz pragmatischen gründen – vorm rechner sind alle gleich.
    persönlich gehts mir wie dir. ich** musste mich immer von west-frauen korrigieren lassen, wenn ich sagte: „ich bin designer“ oder „wanderführer“ oder „punker“ – meine reaktion: „das ich eine frau bin, sieht man ja wohl!!“ am schlimmsten sind diese texte, in denen statt *man* ein *frau* verwendet wird – grässlich.
    (**wir wissen ja alle, dass die DDR viel weiter war in sachen emanzipation, wenn auch aus den manchmal „falschen“ gründen wie arbeitskräftemangel)
    im BWH haben wir tatsächlich den umgedrehten bias: männer sind weicheier und frauen rocken die welt. ernster gemeint als es scheint 😀
    roch´n roll! xxxx

    1. Wie wahr, vorm Rechner sind wir in der Tat alle gleich 🙂
      Für mich war das damals gar keine Diskussion, wer Abi gemacht hat, der studiert dann auch. Und das habe ich unglücklicherweise auch nicht in Frage gestellt. Heute würde ich anders entscheiden aber ich bin auch nicht unglücklich, da wo ich jetzt bin. Da meine Mutter von Anfang an immer gearbeitet hat, war das für mich auch als „Wessi“ immer völlig normal, auch wenn es eher finanzielle als emanzipatorische Gründe waren. Aber ich finde es wirklich spannend, wie unterschiedlich es in der DDR war.

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