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Wie uns die ökonomische Irrationalität beim Ausmisten sabotiert

Wer sich mit den Themen Minimalismus oder Ausmisten beschäftigt, der findet dazu viele verschiedene Ansätze und Anleitungen. Allen gemein ist das Ziel, mehr Raum zum Atmen zu schaffen und unnütze Dinge zu reduzieren. Doch das ist oft gar nicht so einfach, wie es sich anhört.

Egal, welche Vorgehensweise man wählt, es ist gar nicht so leicht, Dinge hinauszubegleiten. Denn oft denkt man sich, man könnte die Sachen ja womöglich nochmal brauchen.

Ein unbewusster Effekt hindert uns regelrecht daran, Dinge loszulassen. Die Rede ist vom sogenannten Endowment-Effekt oder auch Besitztumseffekt. Dabei schätzen wir den Wert einer Sache unbewusst höher ein, sobald wir diese selbst besitzen. Der tatsächliche Wert kann dabei auch wesentlich niedriger sein. Oft beobachtet man, dass Verkäufer bei Flohmärkten die erzielbaren Preise weit höher ein, als potentielle Käufer tatsächlich zu zahlen bereit sind. Der Verhaltensökonom Richard Thaler, welchem der Besitztumseffekt seinen Namen verdankt, hat diese Denkweise daher auch als ökonomische Irrationalität bezeichnet.

Das wohl bekannteste Experiment, bei dem dieser Effekt wissenschaftlich nachgewiesen wurde, ist das Kaffeebecher-Experiment des Psychologen Daniel Kahneman. Dabei wurde einer Gruppe von Versuchspersonen je ein Kaffebecher ausgehändigt. Nun sollten die Probanden einen Preis festlegen, zu dem sie gewillt wären, diesen Kaffeebecher zu verkaufen. Eine zweite Gruppe sollte im Gegenzug einen Preis bestimmen, zu dem sie solch einen Becher kaufen würden. Im Schnitt lag der angebotene Preis bei 2,87 Dollar wogegen die Bereitschaft, den Kaffeebecher zu verkaufen, bei 7,12 Dollar lag. Der gefühlte Wert lag also mehr als doppelt so hoch.

Vor allem bei Dingen, denen wir einen sentimentalen Wert zusprechen, ist der Endowment-Effekt besonders stark ausgeprägt. Verbinden wir beispielsweise mit einer antiken Taschenuhr die Erinnerung an die geliebte Großmutter, erwarten wir bei einem Verkauf des Erbstückes einen weitaus höheren Preis. In so einem Fall addieren wir den emotionalen Wert zum tatsächlichen Wert hinzu. Wenn dann am Ende nur der reine Materialwert angeboten wird, wie das etwa beim Goldankauf oft der Fall ist, sind wir maßlos enttäuscht.

Wenn wir also ein bisschen Platz schaffen wollen, sollten wir uns diesen Effekt bewusst machen.  Wenn wir nun mit einer Kiste voller schöner aber unnützer Dinge dastehen, die wir aussortiert haben, schätzen wir den Wert meist falsch ein. Wir glauben, jemand hätte Verwendung für die ausgedienten Küchenutensilien. Oder wir setzen den Preis beim Weiterverkauf viel zu hoch an und wundern uns, dass sich kein Interessent findet. In Bücherschränken sieht man leider auch ganz oft vergilbte und speckige Wälzer, weil der Vorbesitzer diese nicht wegwerfen möchte. Diese Aufgabe fällt dann denen zu, die sich ehrenamtlich um die Ordnung in solchen Bücherschränken kümmern.

Wir sollten uns also immer wieder möglichst objektiv fragen, wie wir den Wert einschätzen würden, wenn uns solche Dinge angeboten würden.

Doch nicht nur in den eigenen vier Wänden sollten wir den Besitztumseffekt bei uns selbst kritisch hinterfragen und unser eigenes Verhalten beobachten. Auch beim Thema Finanzen kann dieser psychologische Fallstrick uns selbst ein Bein stellen. Ganz gut lässt sich das bei Aktien beobachten. Auch wenn für eine Aktie rein rational der Zeitpunkt kommt, sie zu verkaufen, nehmen wir sie nur sehr zögerlich aus dem Depot. Dabei kann es sein, dass der realisierte Verlust wesentlich kleiner ist, als der Gewinn, den wir mit einem besseren Investment machen könnten. In dem Fall spricht man auch von der Verlustaversion. Die menschliche Psyche gewichtet Verluste tendenziell höher als gleichwertige Gewinne. Natürlich sollten wir jetzt nicht alle unsere Aktien verkaufen, sobald diese mal ein bisschen ins Minus fallen. Aber man sollte solche Effekte  kennen, damit man Entscheidungen bewusst treffen kann.

Nebenbei sind auch Versicherungen, die sich an unserer Verlustangst eine goldene Nase verdienen, Profiteure dieser Effekte. Wer sich etwa ein neues Smartphone zulegt, dem wird unweigerlich eine Versicherung angeboten. Auch hier sollte man wirklich abwägen, ob das Geld an einer anderen Stelle nicht sinnvoller investiert wäre.

Und zuletzt kann uns der Besitztumseffekt sogar beruflich und in unseren Beziehungen beeinflussen. Wer sich etwa im Job gewisse Freiheiten erarbeitet hat wird nicht leichtfertig kündigen. Denn die bekannte Situation bietet uns Sicherheit und wir bewerten eventuell das gute kollegiale Verhältnis höher, weil wir nicht wissen (können), ob es woanders mindestens ebenso gut ist. D.h. ich hänge womöglich in einem Job fest, obwohl ich eigentlich etwas anderes machen möchte. Und nicht alle Entscheidungsparameter lassen sich so leicht vergleichen, wie Gehalt oder Wegstrecke.

Doch hat der Endowment-Effekt auch einen Vorteil für uns? Laut Wissenschaft liegt es in unserer Natur, das Beste für uns selbst herauszuholen. Menschen, bei denen der Endowment-Effekt besonders stark ausgeprägt ist, verhandeln härter und erfolgreicher. Damit gelingt es ihnen eher, ihren Besitz zu vergrößern.

Wie bei allem geht es also um das richtige Maß. Wenn ihr nur ein bisschen alten Plunder loswerden wollt, sollten Aufwand und Gegenwert in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Und oft kann man froh sein, wenn man noch ein kleines Taschengeld rausholt. Doch im Gegenzug sollte man sich (und auch seinen Besitz) nicht unter Wert verkaufen. Ein bisschen Feilschen kann nicht schaden!

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