Beitragsbild von Isaac Davis
Gastbeiträge

Digitale Leuchtfeuer

Heute habe ich die Ehre, euch einen Gastartikel von Anne zu präsentieren. Auf ihrem großartigen Gartenblog Miss Minze schreibt sie sonst über „klimagerechtes Gärtnern mit Pflanzen, die wenig Wasser brauchen.“ Heute soll es aber mal nicht um Überlebenskünstlerpflanzen gehen, sondern ein ganz anderes aber mindestens ebenso wichtiges Thema. Daher übergebe ich gleich mal das Wort:


Ich habe das Gefühl, in letzter Zeit folgt eine Krise auf die nächste. Hinzu kommen Umbrüche gesellschaftlicher und politischer Natur, die unser Leben nicht nur beeinflussen, sondern prägen.

Die größten Sorgen bereiten mir:

  • die zunehmende ökonomische und mediale Hegemonie einiger weniger Konzerne, die unsere Demokratie in Bedrängnis bringen,
  • ein auf ewig schwelender Konflikt mit Russland, das von einem immer gestörteren Putin regiert wird
  • sowie der Ausblick, dass der zukünftige Arbeitsmarkt nicht unwesentlich von Künstlicher Intelligenz unterwandert werden könnte.

Vielleicht habe ich zu viele Science-Fiction-Filme gesehen, aber gerade Letzteres erinnert mich stark an „The Expanse„, wo die Erde zum Großteil von nutzlos gewordenen Menschen bevölkert wird: Nur noch ein Drittel der Menschheit bekommt per Losverfahren Ausbildungsplätze und Jobs zugeteilt. Der Rest vegetiert in Armut und Bedeutungslosigkeit vor sich hin.

Komischerweise interessieren sich nur wenige in meinem Umfeld für meine Sorgen. Stattdessen zerbrechen sie sich mit Vorliebe die Köpfe über „Sozialschmarotzer“, also all jene, die Bürgergeld beziehen. Seien es Flüchtlinge oder Faule, man müsse sie stoppen, schließlich kosteten sie den Staat viel zu viel Geld. Ergänzt wird das tägliche Klein-Klein vom Hass auf Klimakleber und der Verachtung für unsere Regierung.

Als es in einem Gespräch mal wieder darum ging, dass „die Flüchtlinge ja nur die Hand aufhalten“, fragte ich meine Gesprächspartnerin, warum sie sich nicht gleichermaßen über Amazon beschwerte. Schließlich zahlt der Konzern so gut wie keine Steuern auf seine Gewinne, hat jedoch seit seiner Gründung jedwede Konkurrenz (zum Beispiel kleine Geschäfte in den Innenstädten) und damit unzählige Arbeitsplätze vernichtet. Stattdessen hat das Unternehmen Jobs geschaffen, die dem Niedriglohnsektor angehören und setzt auf Subunternehmer, die auf eigenes Risiko arbeiten. Amazon erwirtschaftet unfassbare Umsätze – auf Kosten der Allgemeinheit.

Wenn jemand ein Sozialschmarotzer ist, dann Amazon.

Ich möchte mich nicht als Gutmensch stilisieren. Auch ich nutze Amazon und trage somit zum immer größeren Erfolg des Unternehmens bei. Aber ich lasse mich nicht verarschen. Ich glaube nicht, dass unser Land den Bach runtergeht, weil ein paar Flüchtlinge „die Hand aufhalten“. Vielmehr bin ich davon überzeugt, dass unsere Demokratie den Bach runtergeht, wenn Unternehmen wie Amazon, Google und Meta noch mehr Einfluss gewinnen.

Doch die Konzerne haben leichtes Spiel, treffen sie doch auf immer arglosere Konsumenten, die sich nur zu gerne der digitalen Übermacht ausliefern.

Radio, Fernsehen und Printmedien verkommen zu Randerscheinungen.

Ich frage mich, ob es daran liegen könnte, dass die Datenkraken bereits heute erfolgreich unsere Diskurse bestimmen. Denn eines ist statistisch belegt: Die mediale Vielfalt existiert nur noch in der Theorie. Genutzt wird sie nicht. Die Leute informieren sich fast ausschließlich in den sozialen Medien, von denen sie sich kaum noch lösen können.

So verbringen die Deutschen im Schnitt 21 Stunden pro Woche in sozialen Netzwerken. Auf der größten Nachrichten-Plattform „Spiegel Online“ hingegen nur 18 Minuten im Monat!

Zugegeben, die meisten Artikel dort verbergen sich hinter einer Bezahlschranke. Und wer zahlt schon für Inhalte, die er auf Facebook & Co. auch kostenlos kriegen kann?

In meinem gesamten Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis kenne ich tatsächlich nur zwei Personen, die eine Zeitung abonniert haben, also bereit sind, für echten Journalismus zu zahlen.

Alle anderen vertrauen auf ihre jeweilige Bubble und orientieren sich an Leuchtfeuern, die – wer weiß schon wer? – gesetzt hat. Bots, Trolle, Algorithmen, KIs oder schlicht manipulative Menschen. Und glauben, das Problem seien Flüchtlinge und Klimakleber… 


Ein Dankeschön an Miss Minze für diesen Beitrag. Und allen, die jetzt meinen, das sei doch alles übertrieben, möchte ich zum Abschluss noch diesen (kostenlosen) Artikel über den Einfluss von KI auf das kommende Superwahljahr ans Herz legen.

19 thoughts on “Digitale Leuchtfeuer

  1. leider sind die allermeisten menschen nicht fähig, komplexe zusammenhänge auch nur ansatzweise zu verstehen – deshalb sind sie ja so happy mit den schwarz-weiss-parolen der populisten und den versprechungen der konzerne.
    aber selbst leute, die man für halbwegs intelligent hält, verweigern sich einfach aus bequemlichkeit – nach dem pipi-langstrumpf-prinzip: *ich mach mir die welt wie sie mir gefällt*. und klar ist diese welt dann hauptsächlich für sie selbst komfortabel….. bisschen greenwashing hier, eine milde gabe da und betroffenheitslyrik auf `m blog.
    solange der eigene kontostand stimmt, das eigenheim auf 28° geheizt und der SUV vollgetankt ist. nicht zu vergessen die 3 luxus-fernreisen im jahr – auf denen man rein gar nichts lernt über die welt. wozu auch. siehe oben.
    @bürgergeld: wenn ich im monat nur 60 € mehr verdiene mit einem job, dafür aber dann fahrgeld und extraausgaben (essen/kleidung/kinderbetreuung) habe – ganz ehrlich – da würde ich morgens auch liegenbleiben. gerade hier im osten sind die meisten löhne schlicht ein schlechter witz.
    las neulich, dass eine besonders betroffene berufsgruppe von wg. durch KI ersetzt werden die IT-ler sind – DAS ist mal ein guter witz 😀
    xxx

    1. Dafür generiert KI gerade ein ganz neues Berufsbild – den Promt Engineer. Dessen Aufgabe ist es, „die Eingabebefehle (Prompts) an ein KI-Modell so zu optimieren, dass es bestmögliche Ergebnisse liefert“. Den auch KI will mit intelligenten Fragen gefüttert werden.
      Sehr schön ist dazu die Berufsbeschreibung auf der Seite datascientest.com „Er ist in der Lage, die richtigen Fragen zu stellen, um die gewünschten Antworten zu erhalten.“ Da wären wir wieder beim Pipi-Langstrumpf-Prinzip, unerwünschte Antworten sind natürlich zu vermeiden 🙄.

      1. Ich muss zugeben, dass ich mir auch schon beim ein oder anderen Text von KI helfen lassen habe (nicht bei diesem hier!!!) und feststellen musste, dass man tatsächlich die richtigen Fragen stellen muss, sonst kommt nur Murks raus.
        Aber zurück zu den Jobs: Zum ersten Mal überhaupt(?) müssen dank KI auch Akademiker*innen um ihre Arbeit fürchten. Das ist ein absolutes Novum und untergräbt eigentlich den Leitgedanken, dass Wissen Macht sei – und man nur brav in der Schule lernen muss, dann wird das schon was mit dem gut bezahlten Job. Hmmm, ich glaube da nicht mehr so recht dran.

          1. Immerhin wussten sie sich einen Weg in die Spitzenpositionen unseres Landes zu ebnen. Kalkül ist da auf jeden Fall dabei – und das kann man ja weitestgehend zum Wissen zählen.

  2. Ups, ernsthaft nur 18 Minuten pro MONAT? Au weia. Das schaff ich locker morgens vor sieben 😉 Allerdings ohne Schranke, weil bezahlt. Journalismus kostet Geld. Die sozialen Medien sind noch zum großen Teil gratis. Aber vieles von dem, was es da gibt, ist eben nicht nur gratis, sondern auch wertlos.

    Liebe Grüße
    Fran

    1. Naja, einen Teil zahlen wir zumindest mit unserem Rundfunkbeitrag und um sich grundlegen zu informieren, kann man dann auch eben genau diese Seiten nutzen. Inwiefern das tatsächlich unabhängiger Journalismus ist und ob der Fernsehgarten eine gute Investition für die Beiträge ist, darüber kann man sicher streiten.
      LG
      Vanessa

      1. Stimmt, so gesehen, zahlen wir alle für Qualitätsjournalismus. Bei meinem Artikel hat mir vor allem der DLF geholfen (Link zum Beitrag befindet sich im Text). Den höre ich oft und dafür lohnen sich die GEZ-Gebühren.
        Was soziale Medien angeht: Es gibt kein Entrinnen mehr. Leider. Von meinem Handy habe ich sie allerdings alle deinstalliert. Twitter nutze ich auf dem Desktop. Man muss schauen, dass man ein gesundes Gleichgewicht herstellt, oder?

        1. Das denke ich auch. Wobei mein Handy nicht mehr ganz so reduziert ist, seit dem ich mal in einem Wartezimmer ohne Zeitschriften, Bilder und vor allem ohne Fenster gelandet bin. Da saßen wir dann in leidender Eintracht und haben alle aufs Handy geklotzt 😒

  3. Gerade weil viele Jobs für gering qualifizierte Mitarbeitende in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wegfallen werden, bin ich schon jetzt für das bedingslose Grundeinkommen. In meinem Umfeld würden inkl. mir alle weiter arbeiten.

    Mein Spiegel-Abo habe ich nach ein paar Monaten wieder gekündigt. Die Berichterstattung war mir zu einseitig. Zum einen, was die politische Haltung angeht, zum anderen die Themen. Erst gefühlt nur nur Russland/Ukraine, dann Israel/Palästina. Auch wenn ich darüber informiert sein möchte, interessiert mich nicht jedes Detail und es passiert noch mehr in Deutschland und der Welt. Das war mir keine 20 Euro im Monat mehr wert. Die GEZ-Gebühren sind schon hoch genug.

    1. Der Spiegel wurde nur genannt, weil er als Online-Medium mit bester Reichweite gilt. Tatsächlich wird er oft angeklickt, aber offenbar verweilen die User dort nur kurz. Man kann vom Magazin halten, was man will, aber im Vergleich zu den Verfassern in sozialen Medien sind Journalisten dem Pressekodex verpflichtet. Sie dürfen also nicht schreiben, was sie wollen, sondern müssen sorgfältig recherchieren, um ihre Behauptungen zu belegen.

      Dass Journalisten eher mutlos Schwerpunkte setzen, ist mir seit der Corona-Pandemie leider auch aufgefallen. Man hat das Gefühl, sie bewegen sich selbst in einer Bubble und schauen gegenseitig voneinander ab. Da verwundert es kaum, dass die Leute sich genervt abwenden.
      Deshalb suche ich mir in der Audiothek auch nur noch die Beiträge heraus, die mich interessieren, statt mir die normalen Nachrichten reinzuziehen. Auch in der Zeitung lasse ich den Politikteil für gewöhnlich links liegen und widme mich lieber gleich der Kultur oder dem Lokalteil 😉

    2. Leider ist das mit der einseitigen Berichterstattung eher ein generelles Problem, auch wenn man sich die öffentlich/rechtlichen Sender anschaut. Da wird Tag für Tag derselbe Krieg gezeigt (als wären alle anderen vorbei), was im Rest der Welt passiert, bekommt man kaum mit. Man könnte fast meinen, es gäbe nichts anderes zu berichten und schon gar nichts Gutes. Wer weiß, vielleicht liegt das am Herdentrieb im Menschen, dass man immer da hin rennt, wo die anderen sind und wissen will, was die anderen wissen.

  4. Toller Beitrag!
    Ich stelle immer wieder fest, dass der Mensch so wunderbare Dinge erfindet, und bin immer wieder erschrocken, was er daraus oder damit macht.
    Ich habe schon lange das Gefühl, dass wir als menschliche Gesellschaft gescheitert sind.
    Die Hoffnung stirb zuletzt 😉
    Liebe Grüße Tom

  5. DAS ist tatsächlich etwas, was mir wirklich tiefe Sorgenfalten auf die Stirne treibt: dass man die Macht gedankenlos in die Hände von Menschen gibt, deren Charaktereigenschaften offensichtlich mehr als bedenklich zu nennen sind. Alleine dieser Mister Musk scheint mir äusserst suspekt; ich habe definitiv den Eindruck, dass dieser Mensch irgendwo eine fette Macke hat. Und von seiner Sorte gibts noch ein paar mehr, die dank ihrer Milliarden glauben, das Geschehen nach Lust und Laune manipulieren zu können…..Frag mich nicht, wo das noch hinführt. Genau wie KI auch: die mag wohl Positives bewirken können, allerdings wird sie unausweichlich auch von Menschen genutzt werden, die nichts Gutes im Schilde führen.
    Tatsächlich gehöre ich zu der Sorte Mensch, die täglich noch richtige, echte Zeitungen liest. Und: ich lese auch Formate, die eigentlich so gar nicht meiner Gesinnung entsprechen- und bin dabei schon zu erstaunlichen (auch positiven!) Erkenntnissen gekommen. Man sollte einfach viel mehr nach allen Seiten schauen und horchen. Nur so kann man sich- meiner Meinung nach- eine Meinung bilden. Und es bringt einem voran. Natürlich ist es auch belastend, sich immer wieder mit dem zu befassen, was an Schlimmem und Unvorstellbarem passiert auf diesem Planeten. Und manchmal brauche ich davon wirklich eine Pause. Aber entziehen kann und soll man sich dem Weltgeschehen mit all seinen Façetten nicht.
    Und ja: selber denken ist in Zeiten von social media tatsächlich ein wertvolles Gut geworden….
    Herzliche Grüsse!
    Liebe Grüsse!

    1. Wir werden wohl zukünftig noch viel vorsichtiger sein müssen und immer hinterfragen, ob wir uns gerade eine Meinung bilden oder ob unsere Meinung gerade gemacht werden soll. Gerade wenn ich sehe, wie gut Fakevideos mittlerweile sind und wie täuschend echt Falschnachrichten teilweise daher kommen, mache ich mir schon Sorgen. Aber gerade deshalb ist es vielleicht besonders hilfreich, sich möglichst vieler Formate und Quellen zu bedienen. Dann kristallisiert sich am Ende womöglich sogar aus versehen die Wahrheit heraus 🤔.
      Und wenn´s zu viel wird, kann man auch mal den Kopf in den Sand stecken. Kommen eh täglich fast immer dieselben Nachrichten bis zum nächsten großen Thema.

    2. Mein halber Bekanntenkreis ist rechts-konservativ, einige sind sogar Querdenker und Impfgegner. Zu Beginn der Corona-Pandemie dachte ich: Meine Güte, sind die denn alle verrückt geworden? Später habe ich realisiert, dass sie schon lange so waren, nur hat es nicht genug Krisen gegeben, um ihre Gesinnung zu entlarven 😉
      Wie auch immer, wir sind trotzdem im Gespräch geblieben und wissen einander immer noch zu schätzen. Auseinandersetzungen mit Leuten, die so gar nicht meiner Meinung sind, sind zwar schmerzhaft, aber sie erweitern auch den Horizont. Manchmal lernt man sogar noch etwas dazu! 🙂
      Auf jeden Fall ist mir nun klar, dass ein Mensch mehr ist als seine Meinung und dass es sich lohnen kann, offen zu bleiben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert